Wie steht Ihr zum Thema „Volksabstimmung“?
Ich gebe zu, dass ich tendenziell eher ein Gegner dieser Idee bin. Meiner Auffassung nach sollten bei einer Abstimmung immer nur Menschen entscheiden dürfen, die auch wissen, worüber sie da gerade entscheiden. „Das Volk“ als Ganzes ist recht leicht zu manipulieren und polarisieren, wie ja manch ein Populist gerade aktuell sehr anschaulich dokumentiert.
Nichtsdestotrotz gehöre auch ich zu der großen Zahl derer, die vom aktuellen (Nicht-)Handeln der gewählten Volksvertreter ziemlich enttäuscht sind. Grundsätzlich halte ich das demokratische Staatswesen weiterhin für die bestmögliche Form des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Doch auch eine Demokratie muss sich weiterentwickeln, um alle in ihr zusammengefassten Individuen gleichmäßig zu vertreten. Genau dieser Punkt des Anpassens an die sich wandelnden Anforderungen scheint jedoch durch Lobbyismus und Großkapitalismus im Laufe der Zeit ziemlich unter die Räder gekommen zu sein.
Es gilt also, einen Weg zu finden, dem einzelnen Menschen als kleinstes Rad im großen System wieder stärker das Gefühl zu vermitteln, wirklich etwas bewegen zu können. Politisch getroffene Entscheidungen gegen die eigene Überzeugung lassen sich deutlich leichter mittragen, wenn man den davor erfolgten Diskurs versteht. Im Zeitalter der medialen Effekthascherei ist jedoch das Vermitteln von Fakten nicht mehr das vorrangige Ziel der Bevölkerungsinformation. Das Erhalten von belastbaren Informationen wird mehr und mehr zur Holschuld des Einzelnen, statt dem zur Bringschuld des Staates, wo ich es eher verorten würde.
Daher fand ich im vergangenen Jahr die Idee richtig gut, in medienwirksam in Szene gesetzter Form eine Volksabstimmung im Kleinen durchzuführen und auf diese Weise darauf hinzuweisen, dass hinter der Politik durchaus noch ein Volk steht, welches gehört werden möchte. Ich habe mich an der damaligen Abstimmung beteiligt und bin neugierig auch bei der weiteren Entwicklung in diesem Jahr dabei geblieben: www.abstimmung21.de.
„Ich bin der letzte Monarch der alten Schule. Es ist meine Aufgabe, meine Völker vor ihren Politikern zu schützen!“
Franz Joseph I., Nachfolger des mit der 1848er Revolution überforderten Kaiser Ferdinand
Schon während des Auswahlprozesses der dieses Jahr zur Abstimmung kommenden Themen saß ich häufig kopfschüttelnd vor dem Rechner. Spätestens mit der finalen Festlegung der drei Themen wurde mir jetzt bewusst, dass dieses Projekt als gescheitert angesehen werden kann. Als dann auch noch bei mir per E-Mail die Bitte um eine Spende zur Finanzierung der diesjährigen Abstimmung einging, kam ich zu dem Schluss, aus dem Projekt auszusteigen.
Gute Ideen gehören gefördert. Das ist eine meiner Überzeugungen, aus denen heraus ich normalerweise gerne meinen Beitrag leiste. Aber die diesjährige Themenauswahl im Vorfeld und die daraus am Ende zur Abstimmung angedachten drei Vorschläge fallen definitiv nicht unter die Rubrik „gute Ideen“.
Zwei der drei ins Finale beförderten Themen bedürfen keiner Abstimmung, sondern ausnahmslos nur mehr Aufklärung und Bildung der Wahlberechtigten. Die hinter diesen Fragestellungen stehenden Themen sind dermaßen groß, sprich, sie betreffen derart viele Menschen, die sich darauf verlassen, dass die von ihnen gewählten Volksvertreter sich Wissen aneignen und somit faktenbasiert die Entscheidungen abnehmen. Das sind keine Themen, über die der klassische Bildzeitungsleser oder andere Fachleute mit YouTube-Diplom rein aus ihrem Bauchgefühl ein Mitspracherecht haben sollten.
Was kommt als Nächstes? Die Abstimmung darüber, ob wir die Schulpflicht abschaffen? Oder eine Entscheidung darüber, ob Politiker, die unpopuläre Entscheidungen in die Tat umsetzen, ihre Rentenansprüche verlieren? Es gibt schlichtweg Themen, die haben in einer Volksabstimmung nichts verloren. Und sowohl die Gleichberechtigungsdebatte als auch wissenschaftlich widerlegte Scharlatanerie gehören genau dazu.
Doch tatsächlich bin ich nun am Grübeln, ob ich das Richtige tue, wenn ich mich von dieser verirrten Initiative distanziere. Immer wieder zitiere ich hier die mir erziehungsseitig eingedrillte Benimm-Formel „der Klügere gibt nach“ und denke an die letzten Endes daraus resultierende Folge: Wenn nach und nach aus Frustration alle Menschen mit vernünftigen Einstellungen nachgeben, haben zwangsläufig irgendwann nur noch Vertreter von ziemlich abstrusen Vorstellungen das Sagen. Ist „Rückzug“ daher wirklich das adäquate Mittel der Wahl in dieser Situation? Wo lohnt es sich noch zu streiten und wo ist es einfach nur noch Energieverschwendung?
Ich habe meinen Account bei Abstimmung21 per Stand jetzt nun doch noch nicht gekündigt. Aber eine Entscheidung getroffen habe ich auch noch nicht. Oder vielleicht tief in mir drin doch schon? Das ist ja der wohl schwierigste Punkt an einer Demokratie, mit welchem enorm viele Menschen nicht klarkommen: Man muss Entscheidungen treffen und anschließend mit dem Ergebnis leben. Auch wenn es einem manchmal nicht gefällt.
Clark,
im Juli 2023
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Bildnachweis > Collage Screenshots www.abstimmung21.de
Danke für diesen wertvollen Hinweis! Habe mich auch rechtzeitig angemeldet, ich mache mit, klar!