Ich habe letztens eine neue Mitarbeiterin in mehrere recht komplexe Themengebiete eingewiesen. Wie so häufig stand ich dabei unter Zeitnot und hatte schon ein halbes Dutzend anderer anstehender Aufgaben im Kopf. Entsprechend ungeduldig versuchte ich, der Frau in einer viel zu kurzen Zeit ein viel zu großes Pensum an Informationen weiterzugeben, um mich möglichst nicht mehr weiter mit diesen Dingen beschäftigen zu müssen, die ja ab jetzt von eigens hierfür zuständigen treusorgenden Händen abgewickelt werden sollten.
Doch so funktioniert Wissensaufnahme bei einem Menschen nun mal leider nicht. Mit meinem Duolingo-Streak von über 400 Tagen bringe ich es immer noch kaum fertig, mir im spanischen Restaurant einen Nachtisch zu bestellen. Wissen muss langsam wie ein Landregen aufs frisch gepflügte Feld fallen, um einsickern zu können. Eine Sturzflut auf fest gebackenem Lehm rauscht einfach davon und nimmt im Zweifel mehr mit, als sie zurücklässt.
Im Internet stolpert man häufig über das Meme „Damals, bevor es das Internet gab, dachten wir, der Grund für die menschliche Dummheit wäre der Mangel an Informationsmöglichkeiten. – Ich sag mal so: Das war’s nicht.“
Nein, das war es wirklich nicht. Auch schon bevor der Chefstratege des derzeitigen US-amerikanischen Präsidenten die Parole „flood the zone with shit“ zum politischen Führungsstil erklärte, war es dem 0815-Menschen doch schon lange nicht mehr möglich, in der Unzahl an Impressionsquellen halbwegs Werthaltiges von totalem Müll zu unterscheiden. Wenn da ein selbsternannter Kfz-Guru den Ratschlag verbreitete, Sägespäne im Motoröl würden wie Kreide auf den Stimmbändern wirken oder fragwürdige Gesundheitsspezialisten empfehlen, man solle sich zum effektiven Abnehmen einfach absichtlich mit Bandwürmern infizieren, dann findet sich immer irgendein verzweifelter Mensch, der dran glaubt, er bräuchte einem Rechtsanwalt in Timbuktustan nur 5.000 € zu überweisen, um das Millionenvermögen des Prinzen von Zamunda zu erben.
Nein, eine reine Erhöhung des Informationsangebotes alleine hilft keinem. Im Gegenteil, es wird schnell zu dem oben erwähnten Platzregen, der nicht nur die Pflanzen nicht wässert, sondern nach dessen Auftreten gleich das ganze Haus mit weg ist. Es bedarf einer guten Vorauswahl, einer Anleitung und vor allen Dingen einer gehörigen Portion Zeit, um nicht am Rande des Aluhut-Tragens herumzukrebsen.
Was ist denn nun aber mit den Gefühlen? Der Ausländer an der Straßenecke sorgt dafür, dass ich keinen Arzttermin bekomme. Der Gymnasiallehrer hat sich als schwul geoutet, deshalb sind jetzt all seine Schülerinnen lesbisch geworden. Trump ist die Wiedergeburt Jesu Christi und Putin wird uns alle ins Paradies der ewigen Freiheit führen, wenn man ihn nur endlich lässt. Diesen „gefühlten Wahrheiten“ ist mit Wissenschaft nicht beizukommen, daher will ich es gar nicht erst versuchen.
„Lehrer sind die einzigen Menschen, die wirklich Nationen retten.“
Mustafa Kemal Atatürk, Soldat und Gründer der modernen Türkei (1881-1938)
Etwas anderes sind jedoch Gesprächsfragmente, in die man so hineingezogen wird. So führte ich vor ein paar Tagen eine Unterhaltung mit einem Kunden, der sich über die ausufernden Kosten für den Staat ereiferte. Es sei ja nicht nur so, dass sein Arbeitgeber Körperschaftsteuer vom Gewinn abdrücken müsse und er selbst einen erheblichen Teil seines Gehaltes gar nicht erhält, sondern in Form von Einkommensteuer an den Staat gehe, nein, letztendlich zahlt er aus seinem Nettoeinkommen ja auch noch auf so ziemlich alles die Umsatzsteuer, also gehen auch von dem Geld noch fast 20 % an den Fiskus. Und jedes Jahr werden es mehr, ohne dass seitens der staatlichen Leistungen sich irgendetwas verbessert. Ganz im Gegenteil, Schulen, Kinderbetreuung, Straßen, Sicherheit … alles wird immer schlechter und immer nur begründet mit der Behauptung, es sei nicht genug Geld da.
Mich hat dieses Gespräch lange im Nachgang beschäftigt. So lange, dass ich mich am Abend dann doch einmal an den PC gesetzt habe und mich auf die Suche nach verlässlichen Daten machte. Wird wirklich alles teurer, explizit bezogen auf den deutschen Staat? Klar, jetzt Anbetracht des allgegenwärtigen Säbelrasselns und der kapitalkräftigen Förderung jedweder Kriegslüsternheit unter dem beschönigenden Begriff der Sondervermögen, kann man sich natürlich an drei Fingern abzählen, dass die Einnahmen des Staates zukünftig rein zwangsweise in die Höhe getrieben werden müssen. Aber bis letztes oder vorletztes Jahr herrschten ja doch noch halbwegs „normale“ Zustände in der Bundesrepublik. Wenn man sich da nicht im Kleinen verliert, sondern die großen Zahlen ins Verhältnis setzt, dürfte doch zumindest eine Tendenz erkennbar werden.
Und ja, dem ist tatsächlich so. Im Jahr 2020 hat der deutsche Staat insgesamt 682 Milliarden Euro eingenommen. Nur mal so zum besseren Verständnis und zum neben den eigenen Lohnzettel legen, hier in ausgeschriebener Form: 682.400.000.000 Euro. Die Bevölkerungszahl wurde im Jahr 2020 in Deutschland angegeben mit 83.155.031 Personen, also vom gerade geschlüpften Baby bis hin zum bettlägerigen Greis alle zusammen. Wenn man das ins Verhältnis zueinander setzt, könnte man sagen, jede einzelne Nase in diesem Land hat zu den Staatsfinanzen auf direktem oder indirektem Wege einen Beitrag in Höhe von 8.206 € geleistet. Jetzt nochmal zum Lohnzettel greifen und nur allein mit der gezahlten Lohnsteuer vergleichen, dann noch an die von meinem Gesprächspartner erwähnte Umsatzsteuer denken … Recht schnell erkennt man, dass dieser Durchschnittswert eine enorme Bandbreite abdeckt von Menschen, die viiiiel mehr Steuern zahlen und anderen, die offensichtlich nahezu gar nicht zahlen.
Aber um den Punkt soll es hier gar nicht gehen. Sondern um die Einnahmen insgesamt und das, was daraus wird. 2021 brachte es die Bundesrepublik auf 83,2 Millionen Einwohner, 2022 sprang der Wert auf 84,3 Millionen nach oben, sank aber 2023 wieder auf die gewohnten 83,4 Millionen ab und stabilisierte sich auch 2024 bei 83,5 Millionen. Der gefürchtete demografische Wandel schlägt also auf die Gesamtzahl der Bevölkerung noch nicht durch. Was nicht heißen soll, dass man diese Gefahr am Horizont deshalb ignorieren sollte.
Interessant ist jedoch der zweite Wert, den wir für unsere im Jahr 2020 aufgemachte Verhältnisrechnung brauchen: das Gesamteinkommen des Staates in diesen Jahren. 761 Milliarden in 2021, 815 Milliarden in 2022, 916 Milliarden in 2023 und 948 Milliarden in 2024. Das sind jährliche Zuwachsraten, von denen eine Gewerkschaft beim Aushandeln von Tariferhöhungen nur träumen kann. Entsprechend klettert auch der Wert, den jeder Einzelne, also auch das erwähnte Baby mit seinem Windelverbrauch und der Tattergreis durch die Lohnsteuer seiner Pflegerin mit einbringt: 2021 zahlte ein jeder 9.142 € an den Staat. 2022 waren es 9.659 €, 2023 sprang der Wert schon auf 10.973 € hoch und im vergangenen Jahr 2024 durfte ein jeder von uns 11.339 € berappen, um das Staatswesen zu finanzieren. Und sich dabei ununterbrochen anhören, es sei zu wenig Geld da, um alles zu finanzieren.
Die Versuchung liegt nahe, mit dieser Erkenntnis jetzt auf die Ausgabenseite zu wechseln und in den vielstimmigen Chor der Kritiker einzusteigen, die auf alle möglichen Verschwendungen von Steuergeld und Einsparmöglichkeiten hinweisen. Doch auch hierzu sollte man meines Erachtens erst eine eingehende Recherche durchlaufen, bevor man den Mund aufmacht. Die Daten sind ja alle da. Teilweise verschleiert und geschickt so verpackt, dass sich nicht mehr alles einfach nebeneinander legen lässt. Aber mit ein bisschen Aufwand kommt man an jeden Wert. Ein nicht zu gering zu bewertender Vorteil unseres freien Staatswesens, wie ich hier auch einmal deutlich hervorheben möchte.
Was ist also das Fazit meines abendlichen Exkurses in die Tiefen des Internets? Auf jeden Fall: das Gefühl trügt nicht! Es ist wahr, dass der Staat in einer schmerzhaften Geschwindigkeit immer teurer wird. Über die dabei gleichzeitig immer geringer werdenden Leistungen brauche ich nicht erst zu recherchieren. Schule und Straße, Verteidigung, Kulturförderung und Ehrenamt … Es genügen ein paar Überschriften, um ohne Nachforschung sofort Milliardenlöcher vor Augen zu haben.
Was machen wir mit dieser Erkenntnis nun? Knicken, lochen, abheften? Weitermachen wie bisher? Ich selbst habe keine brauchbare Idee zur Hand. Bin aber mal sehr gespannt auf die Werte aus der obigen Vergleichsrechnung für das Jahr 2025 und 2026.
Clark,
im August 2025
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