Vor ein paar Tagen bin ich auf eine angebotene Online-Diskussion zum Thema „2023 – Wie geht es nach Corona weiter?“ gestoßen. Veranstalter ist der Anbieter einer Plattform für virtuelle Zusammenarbeit. Es ist davon auszugehen, dass der im Podium abgehandelte Diskurs ein wenig subjektiv die Online-Zusammenarbeit behandeln wird. Jetzt gebe ich zu, dass ich aus unterschiedlichen Gründen selbst bei dem Thema etwa parteiisch bin. Aber nichts desto trotz neugierig. Da ich für meinen Teil in den Unternehmen eine Tendenz zur Rückkehr zur Anwesenheitspflicht in den Büros feststelle, möchte ich wissen, mit welchen Argumenten denn für die dezentrale Arbeit geworben werden soll. Also habe ich mich zu dieser Online-Veranstaltung angemeldet. Und, da ich das Thema durchaus für verbreitungswürdig halte, auch meine Anmeldung mit der Einladung zum Nachmachen auf LinkedIn in meiner Chronik gepostet.
Dieses soziale Netzwerk mit Fokus auf Geschäftsbeziehungen bietet seinen Mitgliedern verschiedene Auswertungen an. Darunter auch die Anzeige der Anzahl erfolgter Aufrufe von veröffentlichten Beiträgen, sogenannte ‚Impressions‘. Ein paar Tage nach der Veröffentlichung fiel mir nun etwas ins Auge: Dieser eine Eintrag mit dem Hinweis die Online-Diskussion zur Arbeitsform in der Nach-Corona-Zeit wurde bald hundertmal aufgerufen … und bringt es auf gerade mal ein einziges Like.
Sollte ich da ein heißes Eisen angetastet haben, mit meiner Vermutung der gewollten Rückkehr zur persönlichen Anwesenheit am Arbeitsplatz, selbst wenn die Tätigkeit aus der Ferne machbar wäre? Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es sich bei dem Thema um eins der heutzutage hochsensiblen Gebiete handelt, bei denen viele Menschen nach außen eine andere Einstellung vermitteln, als sie in ihrer inneren Überzeugung eigentlich verspüren. Was schnell zur Folge hat, dass man sich lieber gar nicht erst äußert, um nicht in die Notlage zu geraten, sich positionieren zu müssen.
Was meines Erachtens sehr schade ist, denn eine Weiterentwicklung kann doch nur entstehen, wenn man sich offen über das Für und Wider austauscht. Definitiv ein Wissen, das nicht nur aus der Geschäftswelt bekannt ist, sondern auch zum Einmaleins der Beziehungstherapie gehört. Die allermeisten Beziehungen gehen nicht daran kaputt, dass man sich über Themen zerstreitet. Sondern nur daran, dass man über strittige Themen gar nicht mehr redet. Zurückhaltung ist im menschlichen Umgang miteinander definitiv eine erforderliche Eigenschaft. Aber sie darf nicht in eine quasi-taktische Diplomatie entgleiten, in der jeder wortlos unterstellt, der andere müsse doch auch so verstehen, was man denkt und fühlt. Aus genau diesem Missverständnis entstehen ja die ganzen „das wird man doch wohl noch sagen dürfen“-Haltungen. Am Ende bleiben nur noch zwei weit entfernte gedankliche Lager ohne Schnittmenge übrig, während das ganze Feld dazwischen im Schweigen untergeht.
„Die Veränderung wird nicht kommen, wenn wir auf eine andere Person oder eine andere Zeit warten. Wir sind diejenigen, auf die wir gewartet haben. Wir sind der Wandel, den wir suchen.“
Barack Obama, US-amerikanischer Politiker (* 1961)
Daher will ich heute mal einen kleinen Anfang machen und meiner Kritik an der einkehrenden Ablehnung gegenüber der Online-Arbeit von Schreibtischtätern auch mal gegenläufige Gedanken beisteuern. Zwei Beweggründe für diese etwas entwicklungshemmende Grundhaltung in den Chefetagen könnte ich mir vorstellen:
Zum einen sitzt da in den meisten Branchen nach wie vor eine Generation am Schalthebel, die sich mit Veränderungen ganz allgemein recht schwertut. Etwas, das in der Ahnenreihe alle vorher immer gemacht haben und das sich bislang immer halbwegs bewährt hat, wird auch weiterhin so gemacht. Selbst dann, wenn alle Anzeichen inzwischen auf ein Versagen dieser Vorgehensweise hindeuten.
Und zum anderen sind auch die guten alten Zeiten der gemütlichen Auslastung inzwischen Geschichte. Hatten wir tatsächlich mal in einigen Bereichen die 35-Stunden-Woche bereits etabliert und liebäugelten mit dem Gedanken an die Reduktion auf 30 Stunden, so ist heute in den Chefetagen doch wieder die 50-Stunden-Woche plus X der Standard. Mit dem konstant mulmigen Gefühl in der Bauchgegend, trotz Überstunden immer noch nicht an alles gedacht zu haben. Den Entscheidern fehlt schlichtweg die Luft, um sich nebenbei auch noch mit so etwas Ressourcenfressendem wie Innovation zu beschäftigen. Man ist sich der Tatsache, dass man etwas ändern müsste, zwar durchaus bewusst. Aber kopflos in ein unbekanntes Abenteuer stürzen will man sich dann doch auch nicht. Für ein ausgiebigeres Beschäftigen mit neuen Arbeitsbedingungen, vor allem ein Beseitigen des Gefühls des totalen Kontrollverlustes, fehlt es an allen Ecken und Enden an Zeit und an Geld.
Als Mensch, dem die promovierten Weißkittelträger eine Neigung zur Adiposität nachsagen, kann ich das nur zu gut nachvollziehen. Ich beneide Menschen, die bei Vorhandensein von Stress vergessen, etwas zu essen. Mein Hirn giert leider unter extremer Belastung nach übermäßiger Zufuhr von Kalorien. Als Genussmensch werden dann die kleinen und großen Erfolge zwischendurch selbstverständlich ebenfalls nicht mit dem Nagen an einer Karotte gefeiert. Natürlich bin ich mir der negativen Folgen des „erst den Stress beseitigen, dann übers Abnehmen nachdenken“ bewusst. Aber handele ich entsprechend anders? Ich kann mir vorstellen, dass es zahlreichen Managern allerorten ähnlich geht. Sie sind sich der Tatsache bewusst, dass sie zum Gewinnen von neuem Personal, ja auch zum Halten des vorhandenen Personals, ganz neue Wege in der Arbeitsplatzgestaltung einschlagen müssten. Aber erst muss noch das nächste Reporting fertiggestellt und vor allem das erwartete Quartalsergebnis erreicht werden. Alles auf einmal geht nicht.
Na ja, irgendwann am Ende dann doch. Es gab da doch auch eine Lebensweisheit zu, oder? „Man muss mit der Zeit gehen. Sonst wird man mit der Zeit irgendwann gehen.“ Fortschritt oder Verschwinden. Eigentlich ganz einfach. Nur leider alles andere als leicht.
Clark,
im August 2023
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- New Work
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- Diskussionskultur
Bildnachweis > Clark Ahten
Alte Muster verlassen und neue Wege erkunden, experimentieren: Ja, das ist die heutige Herausforderung insbesondere der Führungskräfte, aber auch des Einzelnen — im Team und im holistischen Sinne eines Unternehmens oder einer Gruppe ist man ja nicht alleine. In der Balance also müssen sich Chefetage (wenn überhaupt) und der Rest der Belegschaft nah stehen, sich auf Augenhöhe treffen, gemeinsam aus Fehlern lernen und zusammenwachsen. Neue Unternehmenskultur, New Work.